Alpen­über­que­rung mit dem Fahr­rad — Wenn der inne­re Schwei­ne­hund bellt

Eine Alpen­über­que­rung mit dem Fahr­rad ist ein Aben­teu­er, das jeder gesun­de und fit­te Rad­ler schafft. Aber auch kein Kin­der­fa­sching. Am bes­ten schließt man sich einem Ver­an­stal­ter an, der sich damit aus­kennt, den inne­ren Schwei­ne­hund gekonnt zum Schwei­gen zu brin­gen. Ein radeln­der Selbst­ver­such zwi­schen Augs­burg und Bozen.

Die Hun­de kom­men mit­ten in der Nacht. Aus allen Rich­tun­gen. Und mit dem Cre­scen­do aus wüten­dem Bel­len schwillt die Panik an. Flucht? Sinn­los! Tot­stel­len? Traue ich mich nicht. Also war­ten und beten. Dann sind sie da. Und ich mit einem Schlag hell­wach. Der Bett­pfos­ten ist här­ter als die Stirn.

Nur geträumt. So wie Nena. Ich bin in Sicher­heit. Im war­mem Hotel­bett. In Bozen. Die Des­ori­en­tie­rung nach dem Alb­traum weicht augen­blick­lich einer tie­fen Ent­span­nung. Nur eine Beu­le wächst aus der Stirn. Weit und breit kei­ne Hun­de. Drei Uhr neun­zehn. Alles gut. Auch wenn die letz­ten Tage mit die inten­sivs­ten mei­nes Lebens waren. Mei­ne ers­te Alpen­über­que­rung liegt hin­ter mir. Unzäh­li­ge Kilo­me­ter, schö­ne Anstie­ge, noch schö­ne­re Abfahr­ten. Unbe­schreib­li­ches Gefühls­ki­no zwi­schen Eupho­rie und Anstren­gung. Und ich konn­te ihn letzt­end­lich doch zum Schwei­gen brin­gen, mei­nen inne­ren Schweinehund.

Aber schön der Rei­he nach! Wer wie ich die Hälf­te sei­nes Lebens hin­ter sich hat, der rech­net ab. Zählt, was auf dem Kon­to ist. Wie vie­le Kin­der den eige­nen Nach­na­men tra­gen. Was gut und was schlecht im Leben 1.0 lief. Und dann ist er mit einem Mal da: der Wunsch, aus­zu­bre­chen. Und wenn auch nur auf Zeit. Eine Woche lang allen All­tag zurück­las­sen, nur mit dem Nötigs­ten los­zie­hen, jeden Tag neue Hori­zon­te ent­de­cken und am Ende erschöpft, aber glück­lich “La Dol­ce Vita” in Süd­ti­rol genie­ßen — eine schö­ne Vor­stel­lung. Mit dem Fahr­rad gen Ita­li­en. Das soll­te es sein! Mei­ne per­sön­li­che Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung auf schma­len Reifen.

Wer das ers­te Mal mit dem Fahr­rad über die Alpen will, ver­traut sich bes­ser einem Ver­an­stal­ter an

Aber wer frei sein will, muss orga­ni­sie­ren. Wel­ches ist die bes­te Rou­te? Wo über­nach­ten? Was mit­neh­men? Was daheim­las­sen? Wie schaf­fe ich es, nicht irgend­wann im Wald zu ste­hen? Wie kom­me ich vom Ziel wie­der zurück zum Start? Ich bin ein­fach zu phleg­ma­tisch (und über­ar­bei­tet), dass ich aus all den Fra­ge­zei­chen Aus­ru­fe­zei­chen machen kann. Und will. Also brau­che ich Hil­fe. Einen Ver­an­stal­ter, der sich mit sowas aus­kennt. Wie Feu­er und Eis Tou­ris­tik vom Tegern­see. Ein paar Klicks im Inter­net, und schon habe ich mei­ne Top‑3 im Visier: ent­we­der von Mün­chen nach Vene­dig oder auf einer Rou­te namens “Alpe Adria” von Salz­burg nach Gra­do oder von Augs­burg nach Bozen. Noch ein biss­chen auf der Home­page her­um­ge­surft, und mir ist son­nen­klar: Ich will von Augs­burg nach Bozen, einer mei­ner Lieb­lings­städ­te in Süd­ti­rol. Auf der “Via Clau­dia Augus­ta”, sozu­sa­gen der Urmut­ter aller Tran­salps, will ich über die Alpen kur­beln. Über Fern­pass und Reschen­pass, deren Namen seit mei­ner Kind­heit, als wir im VW Käfer vom All­gäu an den Lago fuh­ren, bis heu­te nachhallen.

Die Eck­da­ten klin­gen ver­lo­ckend: Sie­ben Etap­pen, jeden Tag maxi­mal 500 Höhen­me­ter — an einem Tag geht es sogar nur berg­ab! — sowie schö­ne Hotels in den Etap­pen­or­ten Lands­berg, Schon­gau, Füs­sen, Imst, am Reschen­pass, Meran und Bozen. Aber das Aller­bes­te: Feu­er und Eis hält mir immer den Rücken frei. Will sagen: Ruck­sack oder Pack­ta­schen brau­che ich nicht, mei­ne Abend­gar­de­ro­be wird immer von Hotel zu Hotel chauf­fiert. Und ich fah­re schön dem GPS-Track auf dem Han­dy nach. Ohne ner­vi­ge Mit­rad­ler. Das ist exakt die Frei­heit, die ich schon immer gesucht habe!

Zwi­schen Span­nung und Ent­span­nung: Wer das rich­ti­ge Mass fin­det, kommt mit dem Fahr­rad sicher an

Der Akku ist leer. Also nicht der vom Fahr­rad, denn ich fah­re Mus­kel­bike. Wenn schon, denn schon. Ich bin platt, kann nicht mehr. Könn­te heu­len vor Erschöp­fung. In mei­ner Eupho­rie aus Frei­heit und Sorg­lo­sig­keit, habe ich den typi­schen Anfän­ger­feh­ler gemacht: Ich bin viel zu schnell gefah­ren. Habe berg­auf stur die ganz gro­ßen Gän­ge gekeult, obwohl ich das Stak­ka­to mei­nes Herz­ra­sens in der Hals­schlag­ader mit­zäh­len konn­te. Jetzt habe ich einen “Hun­ger­rast”: Der Kör­per schal­tet aus Selbst­schutz in den Leer­lauf­gang und lässt dich nur noch das Aller­nö­tigs­te tun. Abstei­gen, Hin­le­gen, Trin­ken, Essen. Der Ober­schen­kel vibriert wie ein Bass­laut­spre­cher, dass ich fast schon lachen muss. Wie pein­lich. Nur gut, dass außer mei­nem inne­ren Schwei­ne­hund nie­mand zuschaut, wie ich nach einer Stun­de Boxen­stopp auf einer Wie­se irgend­wo im Paf­fen­win­kel wie­der vor­sich­tig aufs Rad stei­ge. Hat mei­ne neue Arm­band­uhr nicht eine Puls­funk­ti­on? Die muss ich mor­gen drin­gend aus­pro­bie­ren. Noch auf der Blu­men­wie­se sit­zend, schwö­re ich mir, nie wie­der über Puls 130 zu fahren.

Aber auch der mit­tel­al­te Mensch erholt sich irgend­wann wie­der. Und nach dem Mit­tag­essen direkt am Lech in Epfach kom­men die Lebens­geis­ter mit einem Hal­le­lu­ja zurück. Das Etap­pen­ziel Schon­gau ist schon zum Grei­fen nah.

Alpen­über­que­rer Lohn? Erin­ne­run­gen, die ein Leben lang im Ober­stüb­chen ein­ge­brannt sind

Auf einer Mehr­ta­ges­tour mit dem Fahr­rad lernt man stän­dig dazu: Früh früh­stü­cken, früh los, früh am Tages­ziel, früh im Well­ness­be­reich. Auch eine Lern­erfah­rung: Wer pfei­fen kann, kann qua­si unend­lich lan­ge radeln. Denn solan­ge die Mus­kel­mo­to­ren mit genug Sau­er­stoff ver­sorgt wer­den, läuft’s (fast) von allein. Apro­pos lau­fen: Bin ich froh, dass ich die Alpen radelnd über­que­ren darf. Und nicht wan­dern muss. Ein­mal oben an der Pass­hö­he ange­kom­men, saust man völ­lig anstren­gungs­los (und knie­scho­nend) das Tal hin­ab. So stellt sich schon am drit­ten Tag — zwi­schen Schon­gau und Füs­sen — ein Zustand ein, den man “Flow” nennt. Das Gleich­ge­wicht aus Anstren­gung und Ent­span­nung. Wenn sich der eige­ne Kör­per genau zwi­schen Über- und Unter­for­de­rung kali­briert hat, ver­gisst er Zeit und Raum. Und arbei­tet fast so effek­tiv wie ein Per­pe­tu­um mobi­le. Man muss nur alle paar Stun­den ordent­lich Treib­stoff oben rein­fül­len. Und Abfall unten ent­sor­gen. Alpen­cross ist eine Art Kathar­sis: Wer aus eige­ner Kraft über alle Ber­ge kur­belt, der rei­nigt Kör­per und Geist von Müll, der sich über die Jah­re ange­sam­melt hat.

Neu­er Tag, neu­es Tou­ren­glück! Und mit jedem Kilo­me­ter gen Süden, mit jedem Pass, den ich bezwin­ge, steigt das Selbst­be­wusst­sein. Und die Freu­de, aus eige­ner Kraft stramm Rich­tung Ziel zu kur­beln. Die Etap­pe von Füs­sen nach Lan­deck? Easy! Außer für die Augen, die gar nicht wis­sen, wo sie hin­schau­en sol­len vor lau­ter Kul­tur und Natur. Tags dar­auf geht’s dann über den Reschen­pass. Aber da las­se ich mich ganz bequem von Feu­er und Eis Tou­ris­tik hoch­shut­tlen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und dann bin ich auch schon in mei­nem eige­nen gelob­ten Land: Süd­ti­rol. Durchs Vinsch­gau sau­sen die Rei­fen qua­si stän­dig leicht berg­ab zu den Pal­men in Meran.

Und jetzt ist es drei Uhr neun­zehn. Die Hun­de waren nur ein böser Traum. Ich habe es geschafft, aus eige­ner Kraft von Augs­burg bis hier­her nach Bozen zu radeln. Was bleibt? Erleich­te­rung, Stolz, Vor­freu­de auf die Fami­lie, eine ers­te Idee für nächs­ten Som­mer. Und eine Beu­le an der Stirn.

Artikel Teilen:

Ähnliche Beiträge

Alpen­über­que­rung für Anfän­ger und Einsteiger

Schritt für Schritt durch die beein­dru­cken­de Alpen­land­schaft von Deutsch­land nach Ita­li­en: Der Wunsch, die Alpen ein­mal zu Fuß zu durch­que­ren, schlum­mert in vie­len von uns. Der Gedan­ke an eine Alpen­über­que­rung kann für Anfän­ger auch ein­schüch­ternd wir­ken. Ein Gedan­ke, der sich hof­fent­lich nach die­sem Blog­bei­trag in Luft auflöst.

Die Was­ser-Radl­we­ge Oberbayern

Für alle erho­lungs­su­chen­den Fahr­rad­freun­de wol­len wir des­we­gen an die­ser Stel­le drei wun­der­ba­re Rad­tou­ren durch Ober­bay­ern vor­stel­len. Denn in Ober­bay­ern sind die Bike-Vor­aus­set­zun­gen bestes!

Herbst­wan­dern: Tou­ren­tipps für Bay­ern und Südtirol

Sanft gol­de­nes Licht, bunt ver­färb­te Wäl­der — die Luft klar und die Pan­ora­ma­aus­bli­cke schier end­los. Der Herbst ist ein­fach die schöns­te Zeit zum Wan­dern! Mehr als Grund genug, unse­re per­sön­li­chen Tipps zum The­ma Herbst­wan­dern aus­zu­pa­cken und hier am Feu­er und Eis Blog zu tei­len. Bereit für Tou­ren-Inspi­ra­ti­on pas­send zur herbst­li­chen Jah­res­zeit? Auf­fi gehts — egal ob nur für ein ver­län­ger­tes Wochen­en­de oder auf einer Weit­wan­de­rung mit meh­re­ren Etappen!

Erfah­rungs­be­richt und Pack­lis­te für eine Alpen­über­que­rung zu Fuß: Tipps vom Experten

Micha­el Schauß ist Geschäfts­füh­rer von Outa­way, einem Online-Fach­han­del für Out­door und Trek­king Aus­rüs­tung. Auch er war bereits auf der belieb­ten Alpen­über­que­rung von Feu­er und Eis Tou­ris­tik von Tegern­see nach Ster­zing unter­wegs. Der Exper­te weiß genau, was in den Ruck­sack und in das Gepäck muss. Sei­ne Pack­lis­te für eine Alpen­über­que­rung zu Fuß hat er mit uns in einem Gast­bei­trag geteilt.

Wandern

Biken

Winter

Tegernsee

Reiseart

Inspirationen

Tourencharakter

Destination

Login

Fragen oder Beratung?

08022/663640